Brotboxen, Bogeys und Bussarde: Abenteuer auf dem Golfplatz, dessen Namen wir nicht nennen.
Als der freundliche Herr mir die Tupperdose mit einem selbst geschmierten Brötchen und einem Hanuta-Schokoriegel reicht, entschuldigt er sich gleich dafür, dass er nicht auch die Flasche Bier mitgebracht hat, die er für seinen abwesenden Spielpartner eingepackt hatte. “Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, hier heute noch jemanden zu treffen “, sagt er. Es ist kurz nach Mittag an einem malerischen Herbstsonntag. “Leg’ die Brotbox einfach zurück in meinen Rucksack dort drüben wenn du fertig bist”.
Das Brötchen ist eine unerwartete, aber dringend benötigte Stärkung, bevor es für mich ungeplanterweise auf eine zweite Runde geht. Es schmeckt so “deutsch” wie eine hausgemachte Salami-Käse-Stulle überhaupt nur schmecken kann. Und da ich nicht weit von hier aufgewachsen bin, glaube ich sogar, die Bäckerei identifizieren zu können, bei der mein neuer Freund sie gekauft haben muss. In den letzten 25 Jahren bin ich auf dem Weg zu einem jährlichen Familientreffen jedes Jahr an diesem Golfplatz vorbeigefahren. Es hat aber fast genauso lange gedauert, bis ich auf die Idee kam, dass sich hinter dieser rau anmutenden 9-Loch-Anlage eine kleine Golfperle verbergen könnte. Auf der Suche nach wilden und abgelegenen Golfabenteuern habe ich beinahe alle Küsten der Britischen Inseln abgesucht – aber wie so oft liegt das, wonach man sucht, vielleicht direkt vor einem. Dunkle Regenwolken tanzen am tiefblauen Himmel und bilden den Rahmen für die gelegentliche Flut warmer, herbstlicher Sonnenstrahlen. Es liegt etwas Besonderes in der Luft, als ich zum ersten Mal in meinem Leben diesen seltsam (un)vertrauten Golfplatz betrete.
“Was um alles in der Welt hat dich hierhergeführt?”, fragt er bei meiner Ankunft, obwohl meine Schläger mich verraten dürften. Nachdem er sich vergewissert hat, dass ich weiß, wie man mit der Honesty Box umgeht, legt er mit 5 Bällen auf einmal los. Ich spiele hinterher, wie immer nur mit einem Ball, und so dauert es nicht lange, bis wir uns am zweiten Abschlag wieder treffen. “Ich habe mich nie für die elitäre Welt des Golfsports interessiert. Aber als ich vor ein paar Jahren hier einen Anfängerkurs gemacht habe, habe ich mich sofort in diesen Ort verliebt. Es ist so friedvoll und entspannend hier. Wenn es diesen Platz nicht gäbe, würde ich wahrscheinlich gar nicht golfen. Hier ist kaum jemand unterwegs und man muss sich nicht mit all den hochnäsigen Golfern herumschlagen.” ‘Das macht Sinn’, denke ich mir – seine Liebe zu diesem Ort, den viele vielleicht nicht einmal als Platz erkennen würden, ist ansteckend. Auf meinen Hinweis, dass ich vielleicht einen kleinen Artikel über den Platz schreiben werde, meint er: “Oh, bitte nicht, der Ort muss ein Geheimnis bleiben!”
Nun ja… Mit einem Par von 64 und einer Länge von etwa 3800 Metern ist das sicherlich nicht die Art von Anlage, die der gemeine deutsche Golfer allzu ernst nehmen würde. Als ich ein Kind war, hielten wir ihn nicht einmal für einen richtigen Golfplatz – nicht, dass ihn jemals irgendjemand von uns gespielt hätte. Heutzutage teilt man sich das Gelände sinnvoller- (aber unüblicher-)weise mit einem Disc-Golfplatz, dessen Körbe überall sichtbar verstreut sind. Dennoch ist die golferische Herausforderung enorm. Ein 220-Meter-Loch wie die 2 mag einfach erscheinen, wenn es als Par 4 auf der Scorekarte steht. Die Realität kann jedoch ganz anders aussehen: Die Bahn geht bergauf und schlängelt sich durch dichten Wald zu einem Grün, das etwa 4 mal 4 Meter misst. Zugegeben, die Grüns hier ähneln eher dem, was viele Golfer als Semi-Rough kennen. Das 4., das im Schatten riesiger Nadelbäume liegt, ist sogar durch Matten ersetzt worden. Es ist praktisch unmöglich, dort einen Bergabputt zum Halten zu bringen, und ich schätze, dass dieses Augusta-ähnliche Putting-Erlebnis den durchschnittlichen Stimpmeter-Wert der Grüns auf knapp über 2 anhebt.
Auf die vier sehr kurzen Par 4 Bahnen zu Beginn der Runde (nur das gerade bergab führende 3. Loch ist eine echte Scoring-Möglichkeit) folgen ebenso viele Par 3s. Die größte Herausforderung stellt jedoch das 9. Loch dar, ein scharfes Dogleg-Par 4 mit einer Länge von 278 Metern. Der blinde Abschlag erfordert einen präzisen Schlag von 160 bis 170 Metern, um eine Annäherung auf das winzige Grün durch eine kleine Lücke in den Bäumen zu ermöglichen. Bei meinen beiden Runden schaffe ich es nicht, das Loch in weniger als 7 Schlägen zu beenden.
Es ist aber vor allem die natürliche Schönheit der Umgebung, die hier ein so besonderes Golferlebnis schafft. Die Ruhe in diesem abgelegenen Tal ist fast unheimlich, wenn man an den Großstadttrubel gewöhnt ist. Verwitterte, handgefertigte Schilder weisen den Weg durch den unberührten Wald. Und manchmal sind die Bäume so dicht, dass man die dazwischen versteckten Abschläge kaum erkennen kann. Ein bisschen freundliche Gesellschaft, etwas willkommene Einsamkeit, friedliche Ruhe und einzigartige Herausforderungen – die Aufzählung dessen, was mir die Erfahrung hier bietet, liest sich wie eine Kurzbeschreibung dessen, was ich am Golfspielen schätze.
Als ich während meiner zweiten Runde eine der höher gelegenen Abschlagboxen erreiche, pfeift der freundliche Herr laut aus der Nähe der Holzhütte, die als Clubhaus dient. Wir winken uns zum Abschied herzlich zu. Auch wenn wir nicht zusammen gespielt haben, waren wir an diesem Tag die einzigen Menschen auf dem Platz – und irgendwie fühlt es sich wie eine geteilte Erfahrung an. Als ich die Runde beende, überkommt mich fast ein wenig Traurigkeit, als wäre ich noch nicht bereit, mich zu verabschieden. ‘Ich muss über diesen Tag schreiben’, denke ich mir, aber ich werde nicht den Namen des Ortes verraten. Nicht, weil ich mir Sorgen mache, dass sich Massen von deutschen oder internationalen Golfern hierher verirren könnten – nur um sich darüber zu ärgern, dass man teilweise mit dem Wedge putten sollte. Sondern weil ich denke, dass ich es dem freundlichen Herrn und dem Platz schuldig bin. Ein hoch über mir gleitender Bussard stößt einen lauten Schrei aus, als wolle er zustimmen – lasst uns diesen Ort geheim halten.